Deportation der Juden aus Kippenheim

Die fünf Kippenheimer Bilder von der Deportation am 22. Oktober 1940

Der 22. Oktober 1940 bedeutet das gewaltsame und totale Ende jüdischen Lebens in Baden. Nachdem am 4. Oktober 1862 die Juden in Baden durch das “Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten in Baden”, neun Jahre früher als in der Reichsverfassung von 1871, die vollen Bürgerrechte zuerkannt bekommen hatten, zeigte sich Baden erneut  – aber diesmal negativ –  als das “Musterländle”, als der Gauleiter Robert Wagner stolz am 23. Oktober 1940 ins Nazi-Berlin melden konnte, dass Baden bereits “judenrein” sei. Wagner hatte zusammen mit dem Gauleiter der Saarpfalz, Bürckel die von Hitler genehmigte Geheimakte der sogenannten “Evakuierung” der jüdischen Bevölkerung nach Frankreich durchführen lassen.

“Die Abschiebung der Juden ist in allen Orten Badens und der Pfalz reibungslos und ohne Zwischenfälle abgewickelt worden. Der Vorgang der Aktion wurde von der Bevölkerung selbst kaum wahrgenommen” lautete der Abschlussbericht vom Chef der Sicherheitspolizei und des Staatssicherheitsdienstes in Karlsruhe über diese Aktion. Der Anblick der bewegenden Fotos vom Abtransport der Juden aus Kippenheim zeigt jedoch das Gegenteil. Die Bilder sagen viel mehr aus, als dies mit Worten beschrieben werden kann. Die minutiös geplante “Aktion Bürckel-Wagner”, bis heute im Bewusstsein der badischen Bevölkerung weitgehend verdrängt, leitete den Beginn der Shoa ein, die am 20. Januar 1942  bei der Wannsee-Konferenz in der sogenannten “Endlösung” auch formell beschlossen wurde.

Kippenheim, Querstr. 11

Wie hier in Kippenheim wurden am 22. Oktober 1940 aus ganz Baden über 5600 Juden aus ihren Wohnungen geholt und in das Internierungslager Gurs/Südfrankreich deportiert. Am Vormittag kamen GESTAPO-Männer und NSDAP-Mitglieder in die jüdischen Wohnungen mit dem Befehl: „Fertig zum Abstransport!  Es darf 50 kg Gepäck und 100 RM und Verpflegung mitgenommen werden.“ Wohin es gehen sollte, wurde nicht gesagt. An diesem Morgen war der Dörlinbacher Wilhelm Fischer in Kippenheim. Ob zufällig oder weil ihm als Familienmitglied eines Polizeiangehörigen die behördeninterne Geheimakte der Evakuierung bekannt war, ist ungeklärt. Er wurde jedenfalls wie viele andere Zeuge der Zwangsdeportation. Die Bilder sind nicht heimlich aus einem auf einem Fahrradgepäckträger angebrachten Schuhkarton entstanden, wie Gerhard Finkbeiner vorschnell veröffentlichte. Mit seiner AGFA – BOX BROVIRA hat Fischer den Abtransport der Kippenheimer Juden an drei Häusern in der oberen Hauptstraße, der Querstraße und der Poststraße festgehalten und somit ein wichtiges Dokument über die Gräueltaten der Nazi-Herrschaft geliefert. Die fünf Bilder beweisen eindrücklich, wie diese Deportation vor aller Augen, auf offener Straße, am helllichten Tag erfolgte.

Wie die Bilder an die Öffentlichkeit kamen

Die Geschichte des „Auftauchens“ beginnt 50 Jahre nach Kriegsende mit Wilhelm Fischers Schwiegersohn Walter Munz aus Seelbach, der beeindruckt von einer Führung durch die  ehemalige Synagoge in Kippenheim mit Robert Krais anlässlich des „Tages des offenen Denkmals“ am 10. September 1995 noch in der Synagoge anbot, dem DIA Bilder zu übergeben, mit denen dieser mehr anfangen könne. Er übersandte postwendend am 12. September 1995 die drei Bilder Nr. 1, 3, 5 als <Abb. der 3 Fotos> Papierabzüge in einer mit “Judendeportation ca. 1941” <Copie> beschrifteten Papiertüte. Robert Krais übersandte am 30. Oktober 1995 das Bild Nr. 3 an Kurt Maier in Washington. Die Erstveröffentlichung eines dieser Bilder, erfolgte zum ersten von Bundespräsident Roman Herzog 1996 ausgerufenen “Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus” durch den DIA in der “Lahrer Zeitung” vom 25. Januar 1996 mit dem Bild Nr. 1  verbunden mit einer Einladung zu einer Gedenkveranstaltung mit dem Zeitzeugen Felix Rottberger am 30. Januar 1996 in Ettenheim. Zu dieser Veranstaltung erschien auch der Lokalhistoriker Gerhard Finkbeiner mit größeren Filmnegativen dieser drei sowie zwei weiterer Bilder Nr. 2 und 4. <Foto 2 + 4>Er wusste also von diesen fünf Negativen, die er von Frau Amalie Fischer, der zweiten Frau von Wilhelm Fischer, zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Zum Bildbericht vom 25. Januar veröffentlichte die Lahrer Zeitung am 3. Februar 1996 eine ganzseitige „Fotoreproduktion von Gerhard Finkbeiner“ mit den Bildern Nr. 3, 4, 5 und folgendem Text:  “…Wie Finkbeiner herausgefunden hat, hatte Fischer diese Aufnahmen  – unter Lebensgefahr, denn es war strengstens verboten, die Deportation zu fotografieren –  aus einem Schuhkarton heraus gemacht, den er auf dem Gepäckträger seines Fahrrades befestigt hatte…”. Diese Mähr wurde so in verschieden Medien weiterverbreitet.

Walter Munz teilte am 1. November 2002 dem DIA mit “…Damit in Zukunft nicht noch einmal solch ein hanebüchener Unsinn über die Entstehung der Bilder veröffentlicht wird…. Noch nie hat jemand den Chronisten Wilhelm Fischer zum Helden oder Widerstandskämpfer hoch stilisiert… Als ich die Fotos Mitte der siebziger Jahre das erste Mal zu Gesicht bekam, erzählte mir mein Schwiegervater die Entstehungsgeschichte dieser mittlerweile so viel Staub aufwirbelnden Zeitdokumente. Er war seinerzeit mit dem Fahrrad als Werber für die ‘Lahrer Zeitung’ im südlichen Teil des Landkreises unterwegs. Da er schon seit Jugendtagen sich der Erforschung der Heimatgeschichte verschrieben hatte, war auch sein Fotoapparat auf all seinen Wegen mit dabei. Wenn ich mich recht erinnere, in der Aktentasche, in der er auch seine Unterlagen verstaut hatte. Es war also purer Zufall, dass gerade in der Zeit, in der die jüdischen Menschen auf die Lastwagen getrieben wurden, er Zeuge dieses Geschehens wurde. Ich weiß aber, dass er sich dahingehend geäußert hat, dass es nicht ungefährlich gewesen ist.

Die drei Papierabzüge sind seit 2022 wieder in der Familie Fischer, bei dem Enkel Frank Munz, die fünf Negative wurden dem Jüdischen Museum in Berlin übergeben.

Bei der Veröffentlichung der fünf Bilder findet man als Quellenhinweis alle möglichen Angaben, nur selten wird der Photograph Fischer oder der Erstveröffentlicher Robert Krais vom DIA genannt.   

Ettenheim, den 5. August 2022
Robert  Krais